18
Mrz
2009

28
Jan
2009

Auf deutschem Boden

Die ersten vertrauten Gesichter in die ich schaue sind die meiner Eltern. Müde falle ich ihnen um den Hals. Jetzt wäre ich also wieder on Deutschland. Komisches Gefühl. Als ich hier vor drei Monaten stand war die Weihnachts- Deko noch nicht angebracht fällt mir auf. Es ist wenig los am Stuttgarter Flughafen. Vom Flug habe ich nicht sonderlich viel mitbekommen, selbst meine Flugangst ist weggeblieben. Ebenso apathisch klettere ich ins Auto.
Irgendwann werde ich dann aber doch munter, und kann mein Geplapper gar nicht bremsen. Zuviel habe ich erlebt. Ich schicke letzte „Gut zu Hase angekommen“- SMS nach England, ein Freund ruft an und fragt ob ich mit zum Karaoke kommen will heute Abend.
Daheim angekommen lässt die Umarmung meinen Bruder zwei Schritte zurück taumeln. „Du brauchst ne Dusche!“ lacht er. Und auch ich kann es gar nicht erwarten endlich aus den vielen Kleidern raus zu kommen, und mich frisch zu machen. Aus der Dusche raus erwartet mich eine angenehme Überraschung. Meine Mutter hat auf meine Bitte hin das gekocht, was ich in England am meisten vermisst habe: Gemüsesuppe.

Nach dem Essen sitzen wir alle noch eine ganze Weile beisammen. Das Thema, was bei mir als nächstes kommt wird nicht ausgelassen. Nicht dass meine Eltern eine Entscheidung erwartet hätten, sie wussten über meinen Zukunfts- Konflikt ja auch bescheid, aber plötzlich wusste ICH es. Und als wäre es schon immer das Selbstverständlichste gewesen, verkünde ich, dass ich mich bewerben will...

Schalter, Pech und Pannen

Der unfreundliche Mann am Schalter (ich betone deswegen, weil das hier Voraussetzung ist; solltet ihr euch mal um einen Schalterjob in England bewerben, fügt bei, dass ihr unfreundlich seid, das gibt Pluspunkte!) nimmt die 17 Pfund für das Ticket entgegen und reicht mir meinen Fahrschein. Annika wird ein letztes Mal gedrückt, ich danke ihr für alles und sie antwortet ich solle bald wieder vorbei schaun. Auf meiner To- Do Liste für die nächsten beiden Monate steht das ganz oben.
Der Zug rattert los. Meinen Kleintransporter hab ich in dem Teil des Zuges verstaut wo die Türen sind. Um durch den Gang zu passen bräuchte er eine einjährige Mitgliedschaft bei Weight Watchers.
Jetzt sitze ich ganz allein im Zug. Ich schäle meinen Kleiderschrank von mir und bin überrascht dass mir das in 5 Minuten gelingt. Jetzt fühle ich mich immerhin ein Stück erleichtert. Theoretisch könnte ich ein bisschen schlafen oder die Erlebnisse noch mal Revue passieren lassen, aber ich bin zu aufgeregt um mich zu entspannen und zu müde um denken zu können. Und klar, ein bisschen Wehmut ist dabei. Eigentlich ein ganzer Brocken davon.
Am Flughafen angekommen lässt London noch ein letztes Mal grüßen. Ich hatte vergessen dass ich noch an einem letzen Schalter vorbei muss: dem Check- In.
„That’s too much, you have to split it“ sagt die Dame kühl. Die Waage sagt 36 Kilo. „I’m sorry, I don’t understand.“ Dasselbe Gewicht wie beim Hinflug. „Maximum 34 kilo, you have to split it.“ Aha! Schon eine Information mehr! Mein Koffer ist 2 überaus unverantwortliche Kilo zu schwer. Ich brauche ein weiteres Gepäckstück. „I don’t have any bag.“ „I don’t care you have to split it.“
Benni und sein Arbeitskollege, die in der Schlange hinter mir stehen und in einer Stunde nach Köln fliegen bieten mir ihre Hilfe an. Sie beide waren, wie sie mir bereits während wir anstanden erklärt haben, geschäftlich ein paar Tage in London. „How much time do I have?“ wende ich mich an den despotischen Schalterdrachen, um zu erfahren, dass ich in den nächsten 12 Minuten eingecheckt haben muss. Ich lasse also mein Köfferchen bei den beiden Kölnern stehen, und renne los. Den Kleiderschrank wohl gemerkt wieder angezogen…
Trollis und Schalenkoffer in bunt und schwarz sind ausgestellt und warten auf einen neuen Besitzer. Und wählerisch sind sie! Der Käufer sollte nämlich reich sein, zumindest bis er sie sein Eigen nennen kann. Hundert Pfund aufwärts kosten die Dinger. Da bekomm ich die ja bei Europe Home Shopping günstiger, und wahrscheinlich noch ein Beauty Case kostenlos dazu.
„How can I help you Darling?“ fragt die ältere Dame hinter der Kasse. Jetzt weiß ich also auch warum sie hier Koffer verkauft und nicht am Check- In Schalter steht. „What ist he biggest cheapest bag you have?“ frage ich, worauf hin sie mir ein schwarzes Mäppchen unter die Nase hält. „Oh no! I need a big one to check in!“ erkläre ich ihr, und sie zieht es mit den Worten „it’s huge“ auseinander, und das kleine schwarze Mäppchen verwandelt sich vor meinen Augen in einen riesengroßen schwarzen Müllsack mit Henkeln und Reisverschluss! Den Sack, der von 16 Pfund auf 8 runtergesetzt war, klemme ich mir unter den Arm, kämpfe mich durch die Menschenmassen in der Halle, reiße den Koffer einweiteres mal auf und stopfe wahllos Pullis, T- Shirts, eine Decke und Schuhe in meine neue schicke Tasche. Dann drängle ich mich in der Schlange am Schalter ganz nach vorn (die Engländer behaupten eh immer, dass wir Deutschen das so gut können, das ham se nun davon) lade Koffer und Tasche drauf und frage, was ich denn für das Übergepäck zahlen muss. „Nichts“ antwortet mir die Dame. Vorerst fehlt mir aber die Energie mich zu freuen. Später erfahre ich, dass das Flugzeug ohne hin nur halb voll war, und in solchen Fällen Germanwings sehr kulant ist.
Nachdem ich wegen der Metallknöpfe an meiner Jacke komplett abgetastet und durchleuchtet wurde erzählt mir mein Flugnachbar, dass sein Koffer mir 36 Kilo problemlos durchging. Und während wir im Sonnenuntergang die Startbahn entlang fahren schlafe ich endlich ein.

Alles Easy

Die Party wirkt wie eine Betäubungsspritze, denn mein Gehirn arbeitet komplett gar nicht mehr. Ich schrecke hoch, als mein Handy piepst und Annika schreibt, dass sie sich zum Brunch verspätet. Für 10 min war ich wohl im absoluten Tiefschlaf. Vorsichtshalber stelle ich mir den Wecker und öffne mein Zimmerfenster. Kühle Luft kommt herein, macht mich aber nicht wacher. Der starke Kaffee schmeckt bitter und ich beginne zu frösteln. Mit der Zahnbürste bekämpfe ich halbwegs erfolgreich das tote Tier in meinem Mund und kippe 2 Gläser Wasser nach.
Da fällt mir ein, dass ich besser die letzen Pfundscheine in meinem Portemonnaie gegen die Euro Scheine im Koffer austauschen sollte, aber in meiner zweiten Brieftasche befinden sich nur weitere Pfund. Wie kann das sein? Der schmale Stapel sind niemals die Kaution, und wo ist mein deutsches Geld? Mein Herz beginnt zu rasen, und kalt ist mir plötzlich auch nicht mehr. Ich konnte letzte Nacht meine Zimmertür nicht mehr abschließen, aber ich dachte nicht, dass sich einer an meinem Koffer zu schaffen macht! Ich würde am liebsten losheulen, das darf doch nicht wahr sein! Und schon fliegt mein Gepäck wie in einem Krieg durch das Zimmer. Nein, lass das Geld da sein! Was mache ich jetzt? Papa anrufen? Was kann der schon machen?! Aber einen Rat hat er vielleicht. Sollte ich nicht langsam meine Probleme selber lösen können? Hirngespinste rasen durch meinen Kopf, sodass ich keinen klaren Gedanken fassen kann. Ich durchwühle mein Handgepäck, und die Tasche, die ich gestern bei Pierre noch bei mir hatte. Und plötzlich halte ich ein weißes Couvert in meiner Hand. Deposit steht drauf. Wie kann man nur so bescheuert sein atme ich erleichtert auf. Aber was ist dann mit den Euroscheinen? Ich nehme die Brieftasche erneut in die Hand, und ziehe vorsichtig den kleinen Reisverschluss an der Seite auf. Ich könnte heulen vor Erleichterung. Sitze da, inmitten einem Kleiderchaos mit dem Geld in der, Hand, total benommen und verwirrt.
Während ich, immer noch bala bala in der Birne bin, versuche ich die Sachen wieder ordentlich in den Koffer zu packen, setze mich drauf und versuche mich noch etwas schwerer zu machen. Der Reisverschluss protestiert, gibt aber letztendlich bei und lässt sich schließen.
Nachdem mein Puls wieder unter 200 gesunken ist, spüre ich wieder den Schlafmangel eiskalt meinen Rücken hoch kriechen.
Um Platz im Koffer zu sparen hab ich ein ganz schlaues System des Gepäcktransports ausgeklügelt und ziehe über meine Leggins eine Röhrenjeans und dann eine etwas weiter geschnittene Hose an. Über das Unterhemd ziehe ich ein T-Shirt, und ein weiteres Shirt mit langem Arm. Dann schlupfe ich in einen langen Strickpulli mit Rollkragen und ziehe mir einen noch dickeren Pulli über. Perfekt und ungefähr 5 Kubikzentimeter an Platz gespart. Nur frieren tu ich- im Moment- immer noch.
Als Annika endlich eintrifft bin ich dabei mit den zweiten Kaffee zu machen, überlasse diese Aufgabe allerdings ihr, und verschwinde noch einmal schnell in den 24 Stunden Somerfield, um frische Brötchen zu holen. Wir klauen uns Marcos restlichen Eiervorrat, machen uns ein Jumborührei und auch mein Magen beginnt jetzt, sich besser zu fühlen.
Nachdem Teller und Töpfe- ach bin ich gewissenhaft- nach dem Frühstück gespült sind, und wir auch noch den letzen Kaffe versorgt haben, scheitern wir fast am nächsten Punkt der Tagesordnung…Meine Bettwäsche, die ich Annika überlassen wollte will nicht in ihren Mini Trolli passen, den sie hierfür extra mitgebracht hat. Mit quetschen und drücken lösen wir das Problem, restliche Erbstücke müssen jetzt allerdings in die letzen Plastik Somerfield Tüten weichen. Unser Gepäck Haufen sieht aus wie das Heim eines Obdachlosen. Das uns umhängend und hinterher ziehend machen wir los zur Liverpool Street Station. Wir laufen die Malmesbury Road runter. Jetzt würde ich gerne schreien „STOP! Das geht mir hier alles ein bisschen zu schnell!!“ Ich kann nicht einfach weiter laufen und meine erste kleine Wohnung ohne ein Tschüss zurück lassen. Aber das Gewicht meines Gepäcks, das sich alle hundert Meter verdoppelt, lässt mich gleich auf andere Gedanken kommen. Wieso wurde ich nicht als Paris Hilton geboren? Dann hätte ich allerhöchstens einen Chiuaua in meiner Prada Handtasche, und selbst bei London Nebel eine Sonnenbrille auf und den Rest würden meine Bediensteten übernehmen. Ich schiebe, ziehe und drücke, bleibe an jedem Bordstein hängen, heule, fluche, jammere und klage. Immerhin findet sich ein netter junger Mann, der meinen Koffer die Treppen der Station runter trägt. Glück gehabt!
Ein Glück habe ich mir meine Zeit auf Empfehlung meines Vaters sehr großzügig eingeplant, wir hinken nämlich jetzt schon leicht hinterher.
Eine weitere Lektion erfahren wir an der Station angekommen, als ich hilflos an den 5 Stufen der großen Bahnhofshalle stehe und ein Pulk von 10 Polizisten mit neongelben leuchtenden Hemdchen sich weigert mir seine Hilfe anzubieten und meine theatralischen Versuche bei denen ich fast zusammen breche amüsiert beobachtet bis ein anderer netter Londoner mir seine Hilfe anbietet.
Jetzt nur noch das Ticket schnappen und auf in den Zug. Das Ticket… Wo war es gleich noch mal… Wenn mich in solchen Situationen etwas zur Weißglut bringen kann, dann ist es meine eigene Verwirrt- und Verplantheit. Ich muss mir in Deutschland eine Selbsthilfegruppe suchen, oder am besten gründe ich sie gleich selber „Wie meistere ich mein Leben, wenn ich mir andauernd selbst ein Bein stelle?“
Den Koffer weit offen, Ach! - was ein Anblick, knie ich neben meinem Trolli und wühle. Schöne Scheiße.

6
Jan
2009

Abschied

Ein eisiger Wind bläst mir um die Nase, also wir morgens gegen sieben Uhr das Factory verlassen. Die letzte Nacht hat traditionell im Traffic begonnen, mit Eva, Birgit und Claus, jetzt sind noch Maike, Sebastian, Steffen und Okan übrig geblieben.
Die frische morgendliche Luft lässt mich ganz schnell wieder wach fühlen, ich hätte die Party noch gut 3 Stunden weitergehen lassen können. Tschüss sagen will ich gar nicht. Sebastian umarmt mich, hebt mich hoch und sagt „Tschüss, gude Maus“, Steffen meint, er sei mir böse wenn ich mich nicht noch im Januar wieder blicken lasse. Aber ich weiß, warum ich zögere. Ich fürchte, dass der Zauber dieser Stadt beim nächsten Mal nicht mehr da sein wird.
Ich umarme beide noch einmal, und am liebsten würde ich ihnen noch 5 mal „Auf Wiedersehen“ sagen, nur um Zeit zu gewinnen, es ist einfach so eigenartig sich zu verabschieden und zu gehen, ohne zu wissen was jetzt kommt. Aber die beiden müssen jetzt auf ihren Bus. Okan, Meike und ich laufe zur U-Bahn weiter. Nach 3 Stationen springe ich raus, nachdem ich die beiden auch ganz schnell umarme und „tschüss“ sage, und „bis bald.“ Bis wie bald?

Als mich die U-Bahn ausgespuckt hat stehe ich allein am Gleis. Es ist ganz still. Jetzt bin ich ganz allein hier in London, im Grunde das allerletzte Mal.
Eine Ladung Schwermut drückt mir auf die Brust, und ich atme tief ein, und tief aus, wie vor 3 Monaten noch auf der Millenuim Bridge. Nur war ich damals eine andere. Damals war ich eine Neue, eine Fremde. Jetzt bin ich eine Angekommene. Hier in London, das waren die bislang spannendsten Monate meines Lebens. Und ich kann es noch gar nicht Recht begreifen, dass das JETZT vorbei ist.

Ich würde gerne diese Stadt umarmen, würde gerne sagen „Vielen Dank, London, für alles was ich bei dir gelernt habe. Danke für das unverschämte Glück immer wieder, und dass ich nicht nach 4 Monaten meinen Führerschein schon wieder als verloren melden musste. Danke, dass ich nicht zu oft verschont wurde vom Leben. Danke, dass ich 3 Monate lang morgens aufstehen durfte, in voller Vorfreude auf den Tag und im vollen Bewusstsein meines eigenen Lebens und meiner eigenen Emtscheidungen.
Danke für die Bekanntschaften, und die Freunde. Danke euch Mädels Annika und Angie, und eurer Kompanie Caron, Blanca, Nina, Gordon, Dimi, Demian und Jason. Danke für die geselligen Abende!
Danke für Toni Spaghetti, und Danke, dass ich da nicht mehr bin.
Danke für Pierre und Cloey, seine Freunde und seine Besucher. Danke für den Besuch im Parlament und die Tower Bridge, die Tagelang mein Weg zum Atelier war.
Danke fürs Beerhouse und die verrückten Nächte mit den versoffenen Engländern, die ich mit meinen Dirndl Kolleginnen abfüllen und mit ihnen feiern durfte. Danke für meine Jungs hinter der Theke, und die Mannschaft in der Küche, dank der ich nie hungern musste. Ihr seid für die 7 angefutterten Kilo verantwortlich, meine Lieben! Danke Sebster, Birgit, Tom, Steffen, Eva, Claus, Jörg und allen anderen für die schöne Zeit.
Danke für die Wohnungssuche und mein Zimmer in Bow. Danke für die Parks. Danke, dass weder meine U-Bahn noch mein Bus explodiert ist.
Danke, für meine Chaotische WG, für den schweigsamen Minh, dem meine Kinder irgendwann danken dürfen, weil sie keine Play Station bekommen. Den verpeilten Riccardo, der mir gezeigt hat was es wirklich heißt für die Kunst zu leben, den chaotischen Marco, mit dessen Ankunft mein einsames Frühstück ein Ende fand, den vernünftigen Andrea, der als einziger neben mir den Müll raus gebracht und den Boden gewischt hat, und für den gemütlichen Filipe und seine Cornflakes, an denen ich mich manchmal heimlich bedient habe.
Danke für das Regenwetter( ja ehrlich, ich habe sogar gelernt fünf Tage Niesel-Grau auszuhalten!) und danke für die Sonnenstunden, vor allem die morgens, wenn meine Partynächte zu Ende waren und die Stadt noch ganz still vor sich hin schlief. So wie jetzt, während ich gedankenverloren die Rolltreppe hoch fahre.

In Bow aus der U-Bahn raus, ziehe ich eine Karte aus meiner Handtasche. Sebastian sitzt noch im Bus, als ich ihn erreiche. „Dann bekomme ich wohl eine aus Deutschland“ sagt er. „Ich schreib dir die Adresse im Facebook.“
Ich ziehe den Jackenkragen hoch. Die Sonne ist wie so oft bereits aufgegangen. Jetzt laufe ich das letzte Mal die Alfred Street entlang, vorbei an dem Kiosk, an dem ich den überteuerten Tee gekauft habe, und dem umzäunten Pausenhof, biege das allerletzte Mal in die Malmesbury Road ein, nehme den Schlüssel, den Andrea in den Stromkasten gelegt hat, und schließe das allerletzte Mal die braune Holztür auf, die sich leise quietschend öffnet.
Ich bin todmüde, aber stolz. Stolz auf mich.

5
Jan
2009

24 Hours To Go

Pierre steht wie immer vor seinem Mannequin, als ich die Galerie betrete. Ich habe ein schlechtes Gewissen, denn ich habe mich die letzen Tage gar nicht mehr hier blicken lassen. Dennoch begrüßt er mich fröhlich.
Ich habe zwei große Cappuchino aus dem Fair Trade Coffee um die Ecke in meiner Hand, die ich uns mitgebracht habe. Sonst trinkt er nämlich immer nur dieses Instand Zeug, und dann noch das Billigste. Er legt Nadelkissen und Stoff beiseite, und zeigt mir im hinteren Lagerraum die Kleider, die in der Zwischenzeit entstanden sind. Damit wird er in den London Fashion Week mit Sicherheit eine gute Figur machen.
Er zeigt mir noch weitere Entwürfe. Dann fragt er mich nach meinen Entwürfen für meine Zukunft. Und ich antworte, dass mein Blatt noch leer sei.
Cloey schleicht um mich herum und wartet auf ein Stück Schinken, aber heute habe ich keines dabei. „Beim nächsten Mal“, verspreche ich ihr, und streichle über ihr weiches Fell. Sie schnurrt. Die drei Stunden vergehen wie im Flug. Ich umarme Pierre und verspreche ihm wieder zu kommen.
Morgen wenn ich um diese Zeit daheim landen werde, werde ich das hier alles für einen total schrägen Traum halten.

Auf dem Rückweg gebe ich meinen Schlüssel in der Agentur ab, und bekomme meine Kaution zurück. Mein Hab und Gut ist bereits vollständig bis auf meine Zahnbürste und einem Handtuch im Koffer, das Bett ist auch abgezogen.

Gestern Abend gab es auch ein Good Bye Dinner bei den Mädels in Putney. Jason hatte eine riesen Lammkeule gekauft, und Annika uns, nach seiner Anleitung ein Festmahl gezaubert. Später haben Annika, die Jason und Damian über Weihnachten zu Besuch hat, und ich uns noch zum Schlittenfahren in Deutschland verabredet.

Andrea ist daheim, um mir die Tür auf zu machen. Am Samstag kommt seine Freundin zu Besuch, und er hat das ganze Haus auf Hochglanz gebracht. Ich dusche, koche, esse und höre Musik. Bis mir plötzlich einfällt, dass ich mich beeilen sollte, um die Jungs bei Zeiten abzuholen. Mit dem kleinen Adventsgesteck für Tom, Handy, Oyster und Portemonnaie in meiner kleinen Handtasche renne ich los, in meine letzte Nacht.

30
Dez
2008

In der Brick Lane

In der Vibe Bar ist kaum noch ein freier Sitzplatz mehr zu finden, als Sebastian und ich Sonntagabend auf einen Drink vorbei schauen wollen. Auf den Sofas haben es sich einige Studenten mit ihren Cocktails gemütlich gemacht, es ist dunkel wie immer, und die Musik halb alternativ, halb elektronisch, der Bass wummert, sodass wir uns schreiend unterhalten müssen.
Nach meiner letzen Schicht im Beerhouse sind wir das vorerst letzte Mal durch Brick Lane geschlendert, vorbei an den Designerläden, den Marktständen und Bars…
Der Keeper lässt unseren ersten Cocktail fallen, einen Yellow Brick Lane. Im Gang finden wir dann eine unbelegte Holzbank, nicht wirklich so bequem wie ein Sofa, aber die Lautstärke ist etwas angenehmer besser als stehen ist es allemal.

Sebastian fragt mich, wann ich denn zurück komme nach London, und ich würde gerne antworten „ich könnte auch einfach jetzt da bleiben, dann muss ich gar nicht zurück kommen“. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich zu Hause so viele Vernunftentscheidungen treffen werden muss, dass England viel zu lange warten könnte. Dass ich im schlimmsten Fall wieder sesshaft werde. Sebastian weiß noch gar nicht wie es bei ihm weitergeht, er redet von Italien und Rom, vor ein paar Wochen hatte er Tokio erwähnt. Er kam damals ohne Geld hier an, erzählte seinem ersten Arbeitgeber man hätte ihn ausgeraubt und er müsse die ersten zwei Wochen täglich bezahlt werden.
Ich glaube, dass ihm manchmal einfach die Wurzeln fehlen, aber das tun sie bei vielen Menschen die man so trifft. Irgendwann hatte er mal gemeint er wolle in Deutschland sein Abitur nachholen, wenn sein Englisch gut genug ist.
In einem sind wir uns aber einig: Dieses Reisen macht süchtig. Man muss gut aufpassen, dass man nicht beginnt immer wieder irgendwo Neu an zu fangen, und das genau dann, wenn man sich eingelebt hat. Zum ersten Mal verstehe ich einen Freund, der mal zu mir gesagt hat „ Das Leben besteht aus vielen Kapitel, und jedes geht nun mal zu Ende, und dann beginnt eben ein neues.“
Wie es bei mir jetzt weitergehe kann noch nicht einmal ich ihm sagen. Kunst? Journalismus? Lehramt? Ein Leben in einem Büro ist eigentlich das letzte, worauf ich Lust habe, ich will etwas, womit man herumkommt, etwas das immer neue Herausforderungen bietet, und gleichzeitig sollte ich eine Familie haben können, die kein Nomadenleben führen muss. Gibt es das den überhaupt? Und darf ich so wählerisch sein, während alle vom großen Credit Crunch sprechen?
Sebastian hört mir einfach zu, während ich laut weiterdenke. „Kann ich denn mit meiner Kunst das erreichen, was ich immer wollte? Wollte ich mit der Kunst jemals wirklich was erreichen? Kann ich dem Menschen um mich herum so wirklich etwas sagen, oder dachte ich das nur Jahre lang? Brauche ich jetzt den Mut etwas Neues zu wagen, oder die Beharrlichkeit, Altes nicht aufzugeben?“
Ich würde gerne in die Zukunft reisen, wissen wofür ich mich entschieden habe, und herausfinden ob ich damit glücklich bin. Ich habe das drückende Gefühl, noch hier in London zu einer Entscheidung kommen zu müssen. Aber da ich das heute wohl nicht mehr herausfinden werde, entschuldige ich mich kurz.

Als ich von der Toilette zurück komme hat Sebastian Bier geholt. „Was’ n das für eines?“ frage ich. „Willst du wirklich wissen was ich bestellt habe? The finest, cheapest Lager you have, please.“ Wir beide müssen lachen und unterhalten uns über deutsche Filme, die er nicht kennt, und gute Amerikanische, von deren Existenz ich überrascht bin. Vorsorglich verabreden wir uns deshalb für ne Film-Nachhilfestunde für meine Rückkehr.
Nachdem mein Magen „HUNGER!“ meldet, und Sebastian einen Asiaten vorschlägt, komme ich an einem meiner letzen Abende auch in den Genuss in Brick Lane zu essen. Wir betreten das ziemlich ruhige Lokal, die Wände sind dunkel, und wir sind die einzigen Gäste. An der Stirnseite des kleinen Saales ist ein rosafarbener kitschiger Altar mit Glitzer und Federn. Der arme Kellner muss dreimal vorbei schauen, bevor ich mich endlich in der Speisekarte zurechtgefunden habe, Sebastian, der nicht so ein Anfänger ist entscheidet sich für Reis mit viel Scharf. Ich bestelle mir dann einen Lemongrass Cocktail und Nudeln mit Schrimps, ganz ohne Scharf und obwohl ich gar kein Anhänger der fernöstlichen Küche bin schmeckt es richtig lecker. Bevor wir gehen lass ich es mir nicht nehmen heimlich die Speisekarte einzupacken. Dass mein Aufenthalt ganz bald vorbei sein wird macht mich doch, trotz aller Freude auf zu Hause traurig.

An der Liverpool Street Station angekommen erwähnt Sebastian eine Party am Mittwoch, und selbstverständlich ist es vernünftiger am letzen Abend früh schlafen zu gehen, um fit für die Heimreise zu sein, aber wie sollte es anders sein, ignoriere ich das leise Stimmchen, sage ohne zu zögern „bin dabei“, und freu mich schon genau so auf die Party, wie mir vor dem Tag danach graut, an dem ich komplett verkatert mit meinem 100 Kilo Koffer die lange Heimreise antreten soll.

In Bank verabschieden wir uns flüchtig, weil unsere Bahnen schon da stehen. In vier Tagen werde ich mit meiner Familie am Tisch sitzen, daheim in unserer Küche in Deutschland.

22
Dez
2008

Santacon

Rot eingepackt mit Mütze und Bart mache ich mich auf den Weg zur U-Bahn. Ich sehe aus, als wäre ich einem Zirkus entrissen, mehr wie ein Clown als ein Nikolaus, ich glaube der Kerl ist einfach ein irrer, der wenn er zu viele Drogen genommen hat meint, sein Schlitten könne fliegen und sein Hund hat ne leuchtende rote Nase, und verwandelt sich in ein Rentier…
Keiner der Menschen, die an mir vorbei laufen nimmt Notiz von mir, dabei bin ich weit und breit der einzige Santa. Am ahnsteig vermute ich „unauffällig“ angestarrt zu werden, aber nichts der gleichen. Nicht einmal in der U-Bahn wir Notiz von mir genommen, London ist in seine kostenlosen Nachrichtenblätter vertieft.
Wirklich traurig, nicht einmal die Kinder schauen mich an.
An der Leichester Square sieht das ganze schon anders aus. Wieder unter freiem Himmel bin ich umringt von TAUSENDEN von Santas, die mir zuprosten, laut singen, und Parolen über den ganzen Weihnachtsmarkt schreien.
Jetzt sollte ich nur noch Annika, Angie und deren Freunde ausfindig machen… Unerwartet schnell finde ich sie beim Autoskooter, heiter angetrunken. In Weihnachtlicher Stimmung halten sie mir ihren Vodka- Coke hin. „TRINK!“
Ich gehorche, und merke wie selbst mein Kater erträglicher wird. Meinen Schirm schmeiß ich zu den anderen Regenschirmen in den Nikolaussack. Nachdem mir Nick 1,2 und 3 vorgestellt wurden und 4 weiteren Vodka Cokes bemerke ich den Dauerniesel, der uns auch heute Abend nicht erspart bleibt. Allerdings schaue ich recht blöd, mit allen anderen im Chor, als wir feststellen, dass wir keine Regenschirmemehr haben. Irgendjemand hat unseren Nikolaussack geklaut, und uns alle Obdachlos gemacht. „Ich hab’s irgendwie schon gewusst, dass wir heute ohne Schirme heim gehen!!“, schimpft Angie. „Wart’s ab, sage ich mit aufkommendem Ärger, ich hab das Gefühl meinen nicht das letzte Mal gesehen zu haben, und wenn ich ihn in neuer Begleitung antreffen sollte klatscht’s, aber kein Beifall.“ Ich knackse mit meinen Fingerknöcheln.
Wir ziehen weiter, unter einen Händetrockner in einer Kneipe werden die kalten nassen Füße darunter gehalten, wir treffen Rudolph, the Red Nose Raindeer, wollen ihm was vorsingen, aber Angie schafft es fast nurnoch auf lalala.
Draußen werde ich wieder an den Verlust meines hellblauen Knirpses erinnert, den mit meine Freundin aus Deutschland als Abschiedsgeschenk mitgegeben hatte, wie kann jemand so Gefühlslos sein!
Mittlerweile sind wir bei Whiskey pur und das Rudel tausender Nikoläuse gröhlt im Weitergehen. Ein Vorsinger hat ein Megafon und singt vor. „What do we want?“ „CHRISTMAS!!!!“ „When do we want it?“ „NOW!!!“
Es werden Weihnachtslieder gesungen die wir nicht kennen, irgendjemand verteilt Sckokomänner am Stiel. Und an mir läuft ein hellblauer Regenschirm vorbei, dem ich mich auf dem Absatz umdrehe und folge. „EXCUUUUSE MEEE“, meine ich freundlich lächelnd, ihm auf die Schulter tippend. „You have a really nice Umbrella!“ und zeige mit meinen roten Nikolaus Handschuhen auf den dreckigen hellblauen Schirm, der etwas leblos auf dem schwarzen Gerippe hängt. „Where did you get that from?“ frage ich süß- sauer, das s. Oliver Zeichen zwinkert mir zu. Ich zwinkere zurück. „A Shop in Convent Garden“ gibt er freundlich zurück. Ich lege meinen Kopf schief, lächele mein süßestes lächeln und sage in einem Ton als würde ich ihm frohe Weihnachten wünschen: „No, it’s mine.“ Sein lächeln wirkt jetzt nur noch leicht dümmlich. Kampflos ergibt sich der Schurke, ich nehme ihm den Schirm aus der Hand, widerstandslos und ohne Worte schaut er total verdutzt, und so als traue er mir gleich einen K.O Schlag zu. Triumphierend, und so dass er mich auf jeden Fall hören kann brülle ich einen Siegesschrei über die Straße, und hüpfe singend „I got my Umbrella back“ zurück zu Annika, Angie und Nick 1,2,3,4,5. Das Gesicht des heimtückischen Diebes, der sicher war, nicht gefasst zu werden war einfach göttlich.
Die anderen staunen auch nicht schlecht, und fallen in mein Siegeslied mit ein.
Mit Glühwein aufgewärmt geht’s zu irgendeinem College, das neben der Temple Station liegt, wir laufen durch den Regen, waten in Pfützen, und stehen irgendwan schnatternd in einer Schlange von Nikoläusen, einer richtigen Nikolaus Anakonda um genauer zu sein, vor dem College, unter unseren Schirmen. Die Anakonda bewegt sich nur langsam vorwärts, und als wir endlich drin sind kann auch kein Absinth mich mehr warm machen. Gefühlte Stunden später stehe ich immer noch an dem Trockner in der Damentoilette und halte meine Socken, die ich zuerst ausgewrungen habe zum trocknen darunter. Meine Schuhe daneben und auf der roten Nikolaushose stehend mit blauen Zehen gebe ich irgendwann die Hoffnung auf, dass das kalte Gebläse meinen Abend retten kann, und mache mich wieder auf an die Bar. 2 Nikolausmänner geben mir einen Gin Tonic aus. Die Mädchen haben auch an ihrem Rausch gearbeitet muss ich feststellen, als sie plötzlich vor mir stehen, und irgendwas singen, das ich nicht verstehe. Nach erfolglosen Tanzversuchen beobachte ich die Party von einem Sofa aus. Durch die riesigen Fenster kann man direkt runter auf die beleuchtete Themse sehen. Die Scheiben sind aber so beschlagen, dass man draußen nichts erkennen kann. Angie setzt sich eine Weile zu mir, als sie wieder weiter tanzen will lasse ich endlich Vernunft walten und entscheide die Party vorzeitig zu verlassen um die letze U-Bahn nach Bow zu erwischen. And so this is Christmas…??

13
Dez
2008

Harmonietee

Ich wache auf und schiele auf mein Handgelenk, aber da ist nur ein rotes Bändchen zu sehen. Nach meinem deutschen Funkwecker tastend kommt mir ein böser Gedanke: Ich wurde ausgeraubt! Mein Zimmer ist leer, lediglich meine Jacke hängt an einem Haken. Dann dämmert es mir. Neben meinem Bett liegt ein offener Koffer, bis zum Anschlag gefüllt. Ich hab gestern Vormittag gepackt. Der Wecker, der mir sagt, dass es halb zwei deutscher Zeit ist, steht auf der Kommode. Ich kann nicht genau sagen was schlimmer riecht, meine Hände von der Knoblauchsoße (Ich dachte ich hatte sie gewaschen…) oder das verschwitzte T-Shirt, das ich noch von gestern trage. Ich greife nach der Wasserflasche, und trinke sie fast in einem Zug leer.
Dann wage ich den Gang ins Bad. Mein Tee- Adventskalender spuckt einen Harmonie Tee aus, aber erstmal brauche ich Kaffe. Ich melde mich lebend bei meinen Eltern, die sich in der Singener Innenstadt tummeln auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken. Mit den beiden Geburtstagsgeschenken für 2 Freundinnen und den Weihnachtsgeschenken für meinen Bruder und seine Freundin hab ich die Hälfte bereits organisiert. Alles schon ordentlich verstaut in dem riesigen orangefarbenen Trolli. Ich brauch noch eine ganze Weile um aus dem Bett zu kommen.

Als ich die Küche betrete schaut Marco mich an, und lacht mich dann aus. Ich muss einen leicht verwirrten Eindruck machen. „Igitt!“ Fahre ich ihn an, „wie kannst du so früh morgens Zwiebel schneiden!“ „Es ist drei Uhr am Nachmittag“ entgegnet er mir daraufhin, und öffnet eine Dose Fisch. Mein Magen macht einen Purzelbaum, allerdings nicht vor Freude…
„Was macht dein Job“ frage ich ihn, er wurde gefeuert, erzählt er, fügt aber im selben Satz dazu, dass er wieder im Pizza Hut anfängt. „Wieso“, will ich wissen und betrachte das Chaos, das er mal wieder auf der gesamten Arbeitsfläche veranstaltet hat. „Keine Ahnung“. Er zuckt mit den Schultern und meint, der Chef hatte ihn wohl nicht leiden können. „Macht nichts“, sage ich, passiert jedem Mal. „Mein vorletzter Chef aus dem Pub in dem ich gekellnert habe war auch n ganz schönes Arschloch, über das sich alle aufgeregt haben. Nur war ich die einzige, die ihm so unverschämt zurück kam, wie er mit uns allen umsprang. Als ich die Nachricht, nicht mehr kommen zu müssen dankend angenommen hatte, hab ich keine 30 Minuten gebraucht, um was Neues zu finden, mit einem weitaus wärmeren Arbeitsklima.“

Mein Kühlschrankfach gibt außer Lyoner und Marmelade nicht viel her, und mir ist nach weder noch, aber ich habe Hunger und entscheide mich für den Lyoner.
Annika meint am Telefon dass sie sich noch für keine Rute entscheiden haben, aber jetzt demnächst loslaufen. Wir wollen auf einen Nikolausumzug, der dann am späten Abend in einem Club seinen Höhepunkt finden soll.
Auf das alberne Weihnachtsmannkostüm das ich für 3 Pfund im Lidl gefunden hab ich genau so wenig Lust, wie auf das dunkelgrauen Regenwetter vor meinem Fenster.

Ich entscheide mich erstmal, die Platzwunde am Fuß meines Stoffhasen zu verarzten, bevor ich weitere Planungen in Angriff nehme.
Während ich die Bilder von der Digcam auf meine Laptop ziehe, diese Zeilen tippe zieht mein Harmonie Tee. Den Wohlfühl- Tee, den ich gestern nicht getrunken habe schmeiß ich mit in den Krug.
Mein Herz rast, vermutlich war der Kaffe etwas zu stark. Die Partylaune lässt noch auf sich warten. Heute wär n Tag um gemütlich was trinken zu gehen, und sich über belanglose Dinge zu unterhalten, die einem wichtig erscheinen. Aber nicht Party.
Eigentlich hatte ich mich auf die Nikolaussache gefreut.

Während ich es den Ohrbooten überlasse mich doch noch in Partylaune zu bringen, klingelt mein Handy. „Wo bist du?“ schreit Angie in ihr Handy“. Auf dem Bett in Jogginghose, mit Tee in der Hand. „Putz mir grad die Zähne und wollte dann los“ flunkere ich. „Wo seid ihr?“ „Leichester Square“ „Bin in ner dreiviertel Stunde da“ Antworte ich, und greife nach meinem Glas Tee. Dreiviertel Stunde? Meine Zeiteinteilung ist schlechter als die Musik von Dieter Bohlen. Wie soll ich in 45 Minuten am anderen Ende der Stadt sein, und das in Nikolauskostüm mit Bart und dem Schwachsinn. Tee auf ex, Zähne putzen und los. Ich bin also mal weg…

So jung kommen wir nicht mehr zusammen

Während der Bass mir dumpf in den Magen schlägt, und elektrische Töne die Scheinwerfer Show untermalen tanze ich, und tanze als gebe es kein morgen. Von der Schicht im BB spüre ich nichts mehr. Während der Bass mir dumpf in den Magen schlägt, und elektrische Töne die Scheinwerfer Show untermalen tanze ich, und tanze als gebe es kein morgen. Von der Schicht im BB spüre ich nichts mehr. Weder Müdigkeit, noch Schmerzen, geschweige denn das dringende Sitzbedürfnis, das man nach dem Kellnern immer bekommt.
Birgit, Tom und Sebastian sind noch mitgekommen, und dass wir uns in diesen Keller verlaufen haben, der sich als richtig guter Club plötzlich geoutet hat war eher der Zufall, dass das Traffic an einem Freitag Abend bereits um 2 Uhr zu macht und uns nach unserem ersten Getränk rausgeworfen hat. Das El Paso erinnert mich etwas ans „Passe“ aus meiner kleinen Stadt in Deutschland. Man könnte kaum glauben in London zu sitzen. Wir bestellen 4 Pitcher Long Island Ice Tea, während dessen gesellen sich noch Claus, Birgits Freund und ein brasilianischer Arbeitskollege zu uns. „Auf uns“ sage ich und halte das Glas hoch. „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ meint Sebastian und wir prosten uns zu.“ Tom hat mir zum Abschied ein kleines Buch mit Erwachsenen- Witze geschenkt, das wir durchblättern, und uns unsere Favoriten vorlesen. Als wir dann endlich eine Etage tiefer im Club des Hauses ankommen, fühl ich mich wie daheim. So muss man feiern, ohne Lackschuhe, ohne diese albernen Babydoll Kleider und die Toupierten Haare und die kleinen Handtaschen. Einfach nur die Musik, die Party, die Menschen und die Geselligkeit. Der DJ kam extra aus den 70ern angereist, er ist groß, blond, sehr schmal und trägt einen Oberlippenbart. Der Bader Meinhof Komplex, der hier deutsch untertitelt gezeigt wird hat wohl neue Trend- Revival aufkommen lassen.
Ein Mädchen drückt mir rote Eintrittsbänder vom Aquarium in die Hand und sagt damit bekäme man vergünstigten Eintritt. Ein schwarzer junger Kerl ruft mir zu dass man um die Uhrzeit da nicht mehr rein käme und ich entgegne noch nie ein Problem gehabt zu haben in den Laden zu kommen. Eigentlich war ich nur einmal da, ich bin kein Freund vom „Immer im selben Club rumhängen“, und eigentlich will ich ihm nur sagen „Ey du cooler Hampel, ist ja echt doof für dich, dass DU nicht rein kommst“. Keine Ahnung ob er den Subtext versteht, aber er meint „großartig, dann komme ich mit dir mit“ und bietet mir sofort was von seinen Drogen an. „Ich hab mein eigenes Zeug“ lüge ich ihm COOL ins Gesicht, drehe mich wieder meinen Freunden zu und tanze weiter, tanze so bewusst als würde ich das letzte Mal in meinem Leben tanzen. Ich nehme die drei auf einmal in den Arm und schreie „kann ich euch so alle mitnehmen?“ und mir wird schmerzlich bewusst, dass ich nicht nach Hause will, um meinem ganzen alten Alltag wieder ausgesetzt zu sein, ich will nicht abends daheim sitzen und sehn, wie meine Freunde zu alt für die ganzen Geschichten werden, oder lieber mit Schatz daheim bleiben. Ich will nicht wochenends durch dieselben Kneipen ziehen, und immer dieselben Gesichter sehen, die mit dem zufrieden sind was man ihnen vorwirft.
Als Kind denkt man über sein Alter nicht nach, als Jugendlicher will man älter werden, und dann ist man 20, und 21, weiß die zwanziger werden noch schneller vorbei gehen als die Jahre zuvor, man wird also bald 30, und ein Jahr nach 30, da ist schon die 40, und dann sind wir so alt wir unsere Eltern. Und wofür wir uns dann rechtfertigen müssen, dass will noch gar keiner wissen, ob wir alles richtig gemacht haben, ob wir Karriere und Kinder haben, und uns Sonntags zu Kaffe und Kuchen verabreden. Da ist ja auch weiter nichts dran, es gehört dazu, und es wird definitiv seine schönen Seiten haben, aber im Moment ist das das immer näher rückende, drückende Ende dieser absoluten Freiheit, die wir JETZT verspüren.
Irgendwann stehen wir draußen, der Rest um mich raucht. Wir verabschieden uns, irgendwie stehe ich aber immer noch in dem Club und tanze. Nachdem sich die Wege trennen laufen Sebastian und ich zum Bus, als mein Magen „HUNGER!“ schreit. Seiner auch, wir retten uns in den einen der beiden Dönerläden, und stimmen überein, dass die Türken hier das noch etwas lernen müssen, mit dem Brot und dem Fleisch mit Salatgarnitur. Eine halbe Portion im gehen weiter gegessen biegt mein Bus um die Ecke. „Wir telefonieren“ meint Sebastian, ich umarme ihn kurz, und springe winkend in Richtung Haltestelle, wo der Fahrer böse auf meine nach Knoblauchschleuder riechendes Frühstück schaut.
Durch die Scheiben sehe ich Nacht und regen, komisch, denke ich, den habe ich draußen gar nicht war genommen. Im Kopf immer noch tanzend falle ich auf den Stuhl. Durch die großen Frontscheiben mit den riesigen Wischern erkenne ich, dass die U-Bahnen bereits wieder in Betrieb sind. Um halb 7 stolpere ich die Treppe hoch in mein Zimmer, falle in mein Bett, schlafe ein, und tanze.
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